Apple stellte der Welt diese Woche seine VR-Sensation vor – ist das der neue "iPhone-Moment"? Was Sie jetzt über das Unternehmen wissen müssen und wie viele Chancen die Apple-Aktie noch bietet

Die Erwartungen bleiben hoch. Vor der Eröffnung von Apples Entwicklerkonferenz war die Aktie des Technologieriesen beim Börsenwert mit einem neuen Allzeithoch nur noch 100 Millionen von der magischen Schwelle von drei Billionen Dollar entfernt, die bisher noch kein Konzern erreicht hat.
Ob Apple allerdings mit seiner Vision-Pro-Brille dem Metaverse und der virtuellen Realität (VR) tatsächlich neues Leben einhauchen kann, darüber sind sich die Chefstrategen bei der Vermarktung offensichtlich nicht ganz einig. Die Präsentation der VR-Brille ließ zwar die Produkte der Konkurrenz alt aussehen — ähnlich wie das erste iPhone im Juni 2007 die Smartphones von Nokia und Motorola. Dennoch fehlte ein Bild von Chef Tim Cook, der Apples Wunderbrille testet — ganz anders als seinerzeit Meta-Chef Mark Zuckerberg, der die Quest-Pro-Brille häufig aufsetzte. Nun munkeln Skeptiker, das sei Absicht. Und Vorsicht für den Fall, dass Apples nächstes großes Ding floppt, so wie das jetzt Metas Quest-Modellen droht.

Vom Mac über das iPhone zu spatial computing

Anzeichen, dass es für Apple so kommen könnte, gibt es bisher nicht, auch wenn der Kurs nach der Präsentation abrutschte, in der Spitze um 8,1 Prozent. Auslöser könnte das astronomische Preisniveau der Brille sein: ab 3500 Dollar aufwärts. Zudem soll das Headset erst Anfang 2024 und zuerst nur in den USA verfügbar sein. Auch das erste iPhone hatte seinerzeit einen sehr hohen Preis von 599 Dollar. Dafür wurden die Kalifornier, damals Novizen im Smartphone-Geschäft, belächelt und von der Konkurrenz nicht ernst genommen. Apples Handys kosten heute im Durchschnitt 1000 Dollar.  Konzernchef Cook pries das Headset als Möglichkeit an, die reale mit digitalen Welten zu verschmelzen und als das erste Apple-Produkt, das man nicht an, sondern durch das man hindurch sehen könne. Auch Cook erwartet vorerst keine hohen Verkaufszahlen. Das Debüt der Brille sei „der Anfang einer Reise“ mit Apples erstem räumlichen Computer. Der Nachfolger als Chef des visionären Gründers Steve Jobs an der Spitze des Unternehmens hofft, dass die  neue VR-Brillentechnologie „spatial computing“ eines Tages so wichtig werde wie der erste Mac-Computer im PC-Markt oder das iPhone für „mobile computing“. In den ersten Jahren des iPhone sagten einige voraus, dass Telefonieren irgendwann nur eine von vielen Funktionen eines Smartphones und nicht einmal die wichtigste, sein werde. Heute, knapp 16 Jahre später, scheint das wahr geworden zu sein.

Von SMS und Wecker zu What's App und Co. und Bildschirmzeit in Stunden

Wie stark sich die Nutzung von Smartphones in zehn Jahren geändert hat, macht die Analyse der Unternehmensberatung KPCB aus dem Jahr 2013 deutlich:

Auszug aus der €uro am Sonntag, Ausgabe 25-2013

Apples VR-Burggraben - eigene Chips, eigenes Betriebssystem und viele Apps

Was der Konkurrenz bei VR-Headsets erhebliche Kopfschmerzen bereiten dürfte, ist die Kombination aus Apples Software, einschließlich Apps und dem eigenen Betriebssystem der Brillen, mit den selbst entwickelten Chips: Apples Mikroprozessor M2 aus den aktuellen Laptops und der neue, zusätzliche R1-Chip zur Steuerung der vielen Kamerachips und Sensoren. Dazu gehört auch die Bewegungen des VR-Brillenträgers mit dem Geschehen in der virtuellen Welt in Echtzeit zu sychronisieren. Klappt das nicht perfekt, droht den Trägern Übelkeit, bisher ein häufiger Nachteil beim langen Aufsetzen von VR-Brillen. In den bisherigen Tests hat Apple diese Prüfung gemeistert. Hier mit den Kaliforniern auf der Langstrecke gleichzuziehen dürfte der Konkurrenz schwer fallen - ohne eigene Chips, perfekt abgestimmt auf ihre Software.

Im Jahr 2007 überraschte das iPhone die Smartphone-Branche mit einer virtuellen, berührungsempfindlichen Tastatur. Das Revolutionäre bei Apples Vision-Pro-Brille: sie kommt ohne Hardware für ihre Steuerung aus. Denn anders als bei der Konkurrenz geschieht das über Blicke, Gesten oder die Stimme der Nutzer. Von der Brille eindeutig identifiziert werden die Nutzer über ihre Iris, auch das ist neu. Das Headset erkennt andere Personen im Raum. Die sehen wiederum die Augen der Träger der VR-Brille - man bleibt also in Blickkontakt - auch das ist anders als bei den bisherigen VR-Headsets.

Über ein Rädchen, wie bei der Apple Watch, entscheiden Nutzer, ob sie nur einige Apps und Programme in ihr Blickfeld einblenden oder ganz ins Virtuelle abtauchen— in Videospiele, Filme wie etwa „Star Wars“ oder „Avatar“ in 3-D, oder Basketball- oder Fussballspiele auch mit neuen Perspektiven: mittendrin - am Korb oder auf dem Rasen - virtuell ist das jetzt möglich. Den Personen im Raum signalisiert die Brille dann, dass der Brillennutzer oder -nutzerin busy sind - ihre Augen im Headset sind nicht mehr sichtbar.

Mit dem Medienriesen Walt Disney präsentierte Cook gleich zum Start ein Schwergewicht als Partner. Unity Software, Entwickler von Computerspieleprogrogrammen, ist Apples Partner für Gamingsoftware in der Welt des räumlichen Computing. Die Aktienkurs der Firma aus San Francisco legte deutlich zu.

Königsmacher - die globale Kommune der externen Softwareentwickler

Die spannende Frage ist, ob Cooks Plattform für die Vision Pro auch die globale Gemeinschaft externer Entwickler begeistert — wie es damals das iPhone getan hat. Denn vor allem darauf kommt es an: Gelingt das, so dürfte ein Universum neuer Apps den Wettbewerbsvorteil von Apple, von Börsianern als Burggraben bezeichnet, in Zukunft noch größer werden lassen.

Alle andere Unternehmen, die erweiterte Realitäten (AR) anbieten, seien nun in erheblichen Schwierigkeiten, weil Apple die Ansprüche deutlich erhöht habe, sagte AR-Experte Rony Abovitz der „Financial Times“. Erweiterte (engl. augmented) Realität (AR) meint das reale Bild, das Blickfeld des Brillennutzers erweitert um digitale Elemente, Figuren, Animationen, Apps oder Programme, die über Computerbrillen visuell eingeblendet werden. Mit Apples Headset können Programme und Apps in der erweiterten Realität (AR) genutzt werden, genauso wie auf einem PC oder auf einem Smartphone.

Abovitz ist ein Pionier virtueller Welten. Der Gründer zahlreicher Firmen, darunter auch Magic Leap, Entwickler von AR-Headsets, sagt: „Apple fordert Unternehmen wie HTC, Samsung oder Meta heraus – und hat sie alle in einem Zug überholt“

Fun Facts zum Schluss

Um die Bedeutung des iPhones für Apples Umsatz zu ersetzen, für das laufende Jahr werden knapp 385 Milliarden Dollar Erlös prognostiziert, müsste der Konzern pro Jahr schon bald 60 Millionen Vision Pro Brillen verkaufen. Das ist eher unwahrscheinlich. Analyst Dan Ives von der US-Investmentbank Wedbush schätzt die Anzahl der verkauften Brillencomputer im ersten Jahr nach der Markteinführung auf 150 000, für das zweite Jahr schon auf eine Million. Tim Cook kann sich sein VR- und Metaverse-Experiment leisten, ohne die Zukunft des Unternehmens zu risikieren. Der freie Mittelzufluss, der sogenannte free cashflow, für 2023 geschätzt über hundert Milliarden Dollar, ist gut vier Mal höher als bei Zuckerbergs Meta Platforms, ehemals Facebook.

Wird Apples Vision Pro innerhalb dieses Jahrzehnt ein Erfolg, auch dank der spatial-computing-Plattform, wäre Cook ein Platz in der Geschichte  bahnbrechender Technologien sicher - auf Augenhöhe mit seinem Mentor Steve Jobs.

Bei Apples Wertsteigerung unter seiner Führung liegt Cook schon jetzt vorn, auch im Vergleich mit anderen US-Konzernen. Er steigerte den  Börsenwert des Unternehmens aus Cupertino von 376 Milliarden Dollar im Jahr 2011 auf aktuell über 2800 Milliarden, also auf mehr als das Siebenfache, in knapp zwölf Jahren. 2011 verdiente Apple mit 108 Milliarden Dollar Umsatz 26 Milliarden Dollar, im vergangenen Jahr waren es mit 394 Milliarden Erlös rund hundert Milliarden Dollar Gewinn.

Der Boost für Apples Börsenwert durch den Erfolg des VR-Headsets und damit auch im Metaverse dürfte ein zusätzlicher Bestwert werden - sehr zur Freude der Aktionäre.

Hinweis auf Interessenkonflikte: Der Vorstandsvorsitzende und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, und der zweite Vorsitzende Leon Müller sind unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Apple.